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Ich kann nicht meditieren

Diesen Satz höre ich manchmal, wenn ich von meiner eigenen Praxis berichte. Ich kann ihn auch gut nachvollziehen, denn ich selbst dachte bei Meditation lange an:

  1. alte asketische Männer mit weißen Bärten,
  2. langes Sitzen im Schneidersitz (autsch!) und
  3. einen vollkommen leeren Kopf, frei von jeglichen Gedanken. Gerade letzteres war für mich unvorstellbar und ich verstand nicht, wie das überhaupt funktionieren soll.
  4. Meditation hatte dadurch auch immer einen übernatürlichen Beigeschmack – und war somit uninteressant für mich.

Heute kann ich darüber zum Glück schmunzeln, denn …

1. Meditation ist für alle da

Vorbei die Zeit, in der Meditation Mönchen und Gelehrten als religiöse Praxis vorbehalten war oder man als meditierender Mensch den Ruf des Spinners weghatte. Meditation und Achtsamkeit sind ins Interesse der Wissenschaft gerückt und ihre Wirkung auf das menschliche Gehirn mittlerweile gut erforscht. Gerade die stillen Meditationen wirken seriös und sind in unserem Kulturkreis angekommen. Doch daneben gibt es viele weitere Spielarten, so dass sich zu jedem Topf ein Deckel findet.

Vielleicht mag es notwendig sein, verschiedene Angebote zu testen, bis das passende gefunden ist. So wie es nicht DEN Sport oder DAS Auto gibt, exisitert auch nicht DIE Meditation und genausowenig sind alle Meditationslehrenden gleich. Dranzubleiben, auszuprobieren, vielleicht auch einmal kopfschüttelnd die Stunde zu verlassen – all das mag notwendig sein, um doch irgendwann zu finden, was langfristig Freude bereitet und einen weiterbringt.

2. Sitz doch wie du willst

Gut, das ist etwas übertrieben. Eine gewisse Form empfiehlt sich in der Meditation durchaus, soll unser Sitz doch die Würde, Wachheit und Präsenz ausstrahlen, die wir auch in unserem Geist kultivieren möchten. Wir sollten also weder schlaff und zusammengesunken auf dem Boden kauern, noch genüsslich und träge in unserem Lieblingssessel fläzen.

Trotzdem ist es nicht zwingend notwendig, uns in den Schneider- oder Lotussitz zu biegen, wenn uns darin nur Schmerzen quälen oder die Beine innerhalb weniger Minuten einschlafen. Wichtig ist, für sich persönlich einen Sitz zu finden, der selbst über einen längeren Zeitraum bequem gehalten werden kann und dabei trotzdem die gerade Aufrichtung der Wirbelsäule gewährleistet.

Wer das aus eigener Kraft (noch) nicht schafft, darf gerne auf Hilfsmittel zurückgreifen. Hier stehen uns hauptsächlich Meditationskissen und -bänkchen sowie dicke Matten namens Zabuton zur Verfügung. Auch hier gilt leider: Der passende Deckel muss erst gefunden werden. So ist beispielsweise die Höhe und Festigkeit eines Meditationskissens eine individuelle Sache, manch einer kommt auch mit gar keinem Kissen zurecht. In diesem Fall kann ein Bänkchen Sinn machen – muss aber nicht. Eine Phase des Ausprobierens kann also notwendig sein, bis die optimale Ausstattung gefunden wurde und der bequemen Meditation nichts mehr im Wege steht.

Wenn nichts hilft: Nimm den Stuhl

Wer überhaupt keinen angenehmen Sitz auf dem Boden findet, auch nicht mit Kissen, Bänken und Zabuton, darf selbstverständlich auch auf einem Stuhl Platz nehmen. Hier sollte lediglich darauf geachtet werden, eher im vorderen Bereich des Stuhls zu sitzen, sich nicht anzulehnen und stattdessen aus eigener Kraft gerade aufzurichten.

Yoga für einen besseren Sitz

Fester Bestandteil meiner Einsteigerkurse ist eine kleine Serie einfacher (aber wirkungsvoller) Körperübungen aus dem Yoga, die nicht nur höchst meditativ wirken, sondern über eine längere Zeit regelmäßig praktiziert zu einem besseren Meditationssitz und gerader Aufrichtung verhelfen.

Nicht aufgeben und dranbleiben

Ich mag hier wirklich Mut machen, dass das Sitzen mit etwas Geduld und Spucke leichter, angenehmer werden kann. Für mich selbst war schmerzfreies Meditieren auf dem Boden zu Beginn nämlich gar nicht möglich, weshalb auch ich auf dem Stuhl angefangen habe. Mittlerweile kann ich dank der Körperübungen ganz gut für längere Zeit auf dem Boden sitzen, Tendenz steigend. Mein Goldstandard ist und bleibt aber mein Bänkchen samt Zabuton, worauf ich auch für mehrere Stunden bequem Platz nehmen kann.

Fazit: Es ist nicht aller Tage letzter Abend, man muss es sich nicht unnötig schwer machen – und auf dem Stuhl meditieren ist vollkommen in Ordnung!

3. Stille ist ein Prozess

Über das Thema „Stille in der Meditation“ werde ich in einem extra Post ausführlich schreiben.

Hier deshalb kurz gefasst: Es ist ratsam, sich als Einsteiger erstmal vom Klischee der Meditation als absolute Stille zu lösen. Ja, es gibt stille Meditationen, aber: Sie sind für Anfänger nicht unbedingt die erste Wahl. Es gibt andere Varianten, die den Einstieg deutlich erleichtern können. Viele von ihnen führen uns allmählich aus der Aktion in eine natürlich enstehende Ruhe.

Nichts desto trotz kann es auch hier passieren, dass unser Kopf voller Gedanken ist. Manch einer lässt sich davon entmutigen oder ist traurig darüber, schon wieder „versagt“ zu haben. Tu das bitte nicht!

Nimm deine Gedanken als Chance zur Entwicklung an!

Erstens: Deine Reaktion auf diese Gedanken ist eine wunderbare Möglichkeit, dich selbst zu hinterfragen. Warum ist es dir so wichtig, sie wegzuhaben? Warum musst du hier schon wieder Leistung, Perfektion erbringen?

Zweitens: Achtsamkeit ist ein Weg der freundlichen Akzeptanz. Alles, was im Moment da ist, darf auch da sein. Das gilt auch für Gedanken! Es geht darum, sie als das zu erkennen, was sie sind – nicht mehr, nicht weniger – und sie mit dieser Erkenntnis einfach nur kommen und gehen zu lassen. Die Metapher der am Horizont vorbeiziehenden Wolken ist hier wirklich passend.
Wir lernen durch Meditation und Achtsamkeit zuallererst, uns nicht mehr länger an ihnen festzukrallen, ihnen alles zu glauben oder ihnen sofort Folge zu leisten.

Drittens: Mit zunehmender Achtsamkeits- und Meditationspraxis gelingt es immer besser, die lauten Gedanken in den Hintergrund treten zu lassen. Auch kann sich der Kopf nach und nach leeren und somit nachhaltig ruhiger werden. Selbst im lautesten Alltag können wir uns dann mit der Stille in uns verbinden. Das ist ein Teil der Lorbeeren, die wir für unsere Geduld und Hingabe ernten dürfen! Es ist allerdings nichts, was uns zugeflogen käme, wenn wir es uns vom Universum wünschen. 

Es ist Training – Gehirntraining – und damit sind wir schon beim letzten Punkt:

4. Meditation ist kein Hokuspokus

Auch wenn Meditation und Achtsamkeit mittlerweile recht offen angenommen werden, schwingt doch manchmal ein bisschen Skepsis mit. Und manch einer wirft sie noch immer in einen Topf mit Esoterik und „man muss nur genug daran glauben“ (gerade die Hypnose hat es hier richtig schwer).

Umso besser also, dass sich die Neurowissenschaft seit einigen Jahren für das Thema Meditation interessiert und deren Auswirkungen auf das menschliche Gehirn genauer unter die Lupe nimmt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass es sich durch Meditation messbar verändert und dass diese Veränderungen die Erfahrungen Meditierender (zumindest teilweise) erklären können.

Ich als Nicht-Wissenschaftlerin möchte an dieser Stelle ungerne mit Studienschnipseln um mich werfen und tue das lieber mit lesenswerten Links zu dieser Thematik:

Nein, mit Esoterik hat all das nichts zu tun, genausowenig mit Hokuspokus. Meditation ist Training, das nach einer gewissen Disziplin verlangt, damit sich Resultate einstellen.

Und doch ist sie mehr als eine trockene, seriöse Routine. Für mich verbindet sie zwei spannende Welten miteinander: moderne Wissenschaft mit uralter, vielfältiger Tradition, Philosophie und Ethik. Und das ist genau das, was mich an Meditation ganz besonders fasziniert und fesselt!

 

Ich hoffe sehr, mit diesem Post die eine oder andere Unsicherheit aus dem Weg geräumt zu haben.

Deine

Jamie